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POLITIK: Warum Bildung kein Allheilmittel ist

Bildung gilt per se als eine gute Sache, so der generelle Konsens. Steht sie doch weltweit für Chancengleichheit und die freie Entfaltung des Individuums. Aber ist eine Gesellschaft mit gebildeten Bürgern wirklich ein Garant für die wirtschaftlich und politisch gesicherte Zukunft eines Landes?

Ein Kommentar von Jorinna Scherle

Gerade am Beispiel der AfD zeigt sich, dass auch gebildete Menschen sehr viel Unsinn im Sinne von Demokratie-Feindlichkeit von sich geben. Den Gründern der ersten Stunde mangelt es nicht an Bildung – ganz im Gegenteil.

Konrad Adam, Redakteur der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, oder Bernd Lucke, Professor für Makroökonomie, sind nur zwei der damals bekannteren Gesichtern. Weiter unter ihnen: Juristen, Unternehmer, Chemiker, Betriebswirte, Steuerberater, IT-Experten, Polizisten, Immobilienmakler. Wer würde anhand dieser Berufe vermuten, welche Inhalte sich im späteren Wahlprogramm wiederfinden werden?

Nach außen hin macht sich die AfD ihren Ruf als Professoren-Partei zu Nutze: Bildung als Kernkompetenz. Eine Gruppierung von Experten, die die scheinbar komplexen Prozesse der Wirtschaftswelt, der Ökonomie und des sozialen Lebens durchschaut und dem Otto-Normalbürger einfache Antworten liefert.

Und wir, die Menschen, denen diese Antworten nicht gefallen, müssen uns nun fragen – ist die mangelnde Bildung des AfD Wählers daran Schuld, dass dies nicht durchschaut wird und die Falle des Populismus zuschnappt? Ist es die tradierte Vorstellung von Aufklärung und sapere aude, die uns glauben lässt, dass eine bestimmte Form von Bildung und politischen Wissens Voraussetzung ist, um als mündiger Bürger an politischen Gestaltungsprozessen teilzuhaben?

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Mit anderen Worten: Sind AfD Wähler dumm? Sollte man daher nur noch die Schlauen wählen lassen? Und warum trauen wir der Bildung zu, dass sie dafür sorgt, dass politische Meinungen und Lebenshaltungen automatisch in die von uns gewünschte Richtung gehen?

Es ist sehr viel komplizierter als das, denn die Demokratie lebt ja schließlich davon, dass die Stimme jedes Menschen gleich seiner Herkunft und seines Bildungsstandes gleich viel zählt. Dass das Wahlrecht immer noch erst ab 18 beginnt und Menschen mit Behinderung nach wie vor davon ausgeschlossen werden, zeigt aber auch hier immer noch Verbesserungsbedarf, wenn wirklich die gesamte Gesellschaft die Möglichkeit haben soll, politisch repräsentiert zu werden.

Aber was macht man denn nun, wenn gebildete Menschen Ansichten vertreten, deren Inhalte man nicht teilt?

Ein bewährtes Allzweckmittel, das sich besonders wieder einmal im Wahlkampf gezeigt hat, ist der beinahe schon inflationäre Einsatz des Wortes “Populismus”. Dabei trifft es nicht nur die AfD oder rechtsorientierte Parteien. Gerne wird, anstatt zu hinterfragen und sich inhaltlich damit auseinanderzusetzen, das Totschlag-Argument populistisch gebraucht und mit dem Gestus großer Empörung reagiert. Egal ob rechts-populistisch, links-populistisch oder irgendwie-populistisch. Allein die Bezeichnung soll das weitere Nachdenken über die Aussage an sich ersparen.

Dabei macht doch Bildung gerade das aus: Die Auseinandersetzung mit dem Pro und Contra, eine dialektische und möglichst umfangreiche Sicht auf die Dinge.

Natürlich muss Politik zu einem gewissen Maß vereinfachen, um verständlich zu bleiben, aber sie darf es sich auch nicht zu einfach machen.

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„Wenn Bildung irgend einen Sinn hat, dann denjenigen, dass man sich nicht das Nachdenken ersparen soll“ ist auch eine von vielen, teils provokanten Thesen des Wiener Philosophen Paul Liessmann und Autor des gerade erschienenen, gleichnamigen Buches „Bildung als Provokation“.

Seiner Meinung nach lässt sich Bildung „nicht auf formale Fähigkeiten und Anwendungsorientierungen reduzieren. Bildung hat immer auch mit konkreten Inhalten und – horribile dictu – abstraktem Wissen zu tun, damit auch mit Einsichten und Haltungen, die ihren Wert vorab in sich tragen und es den Menschen erlauben, zu sich und der Welt in einer Weise Stellung zu beziehen, die nicht nur dem Dikat der Zeit und ihrer Moden gehorcht“. Wachsamkeit und das Wissen um des Nichtwissens seien die Grundlage dafür, damit Bildung nicht zum „Dünkel eines selbstgefälligen Elitenbewusstseins“ verkommt und zum „Signum der Unbildung“ wird, so Liessmann.

Wie also umgehen mit der AfD, die bekanntlich nun als drittstärkste Partei in den Bundestag einziehen wird?

Auch wenn sie mit den erreichten 12,6% der abgegebenen Stimmen nur eine kleine Minderheit des deutschen Volkes sind: Ignorieren kann man sie schwer.

© Wolfgang Tillmans

„Man muss sie ansprechen als das, was sie sind: Als frustrierte Elitemitglieder. Und man muss sie vor allem fragen, was sie wollen. Was soll man z.B. mit den 4.5 Millionen Moslems in Deutschland machen?“, so der Fotokünstler Wolfgang Tillmans im Interview mit Deutschlandfunk Kultur.

Und dann müsse man sie fragen, in wiefern sich das dann von dem unterscheide, was 1933 gegen andere Religionsgruppen unternommen wurde. Tillmans war mit seiner Plakatserie auf BetweenBridges.net vor der Bundestagswahl selbst politisch aktiv geworden, in der er für mehr Wahlbeteiligung warb. Sich intensiv auseinander zu setzen, so Tillmans, wird der einzige Weg sein, reine Stimmungsmache von wirklichen Inhalten zu unterscheiden und dementsprechend die Taktik Bildung als Kompetenz der AfD zu entlarven.

Eine verstärkte Diskussions- und Debattenkultur ist also das, was sich viele wünschen. Und die AfD Politiker auf die Bühne holen, um sie dort öffentlichkeits-wirksam vor zu führen als das, was sie offenbar sind: “Eine frustrierte Elite”.

 

08.10.2017

#AfD #Bildung #Bundestagswahl2017 #Demokratie #Populismus

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