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Altern in der Mode: Trend Senior Models

„Covergirl“ nennt die Museumsdirektorin des niedersächsischen Landesmuseums  Katja Lemke liebevoll das Portrait einer gealterten Frau von Lovis Corinth, das die Ausstellung “Silberglanz” auf Plakaten repräsentiert.

Nun ist es tatsächlich ein Covergirl der ganz anderen Art und fern davon, was unsere Sehgewohnheiten von Schönheit und deren mediale Darstellung anbelangt.

Zu selbstverständlich ist heute beinahe, dass das Leben möglichst nur die positiven Spuren im Laufe der Jahre hinterlassen darf. Neben der überall verbreiteten Selbstoptimierung ist es ein zunehmendes Bedürfnis des Einzelnen, ein möglichst glückliches Leben nach außen hin zu präsentieren – zumindest suggeriert dies die deutliche Mehrheit der Bilder in den sozialen Netzwerken.

Ebenso glücklich wollen wir natürlich aussehen. Und in extremen Fällen, wie beispielsweise einer Zornesfalte zwischen den Brauen oder Tränensäcken unter den Augen, kann ich es durchaus nachvollziehen, dass der Betroffene sich daran stört, weil der dadurch entstehende Gesichtsausdruck tatsächlich nichts mit dem eigenen Gemütszustand zu tun hat. 

Doch während ich mir zumindest einbilde, dass man vor der massenhaften Verbreitung von Botox und Co. das Alter erst thematisierte, wenn die Falten schon zu Furchen wurden und bereits das ein oder andere Enkelkind geboren war, so hat sich gerade in meiner Generation der Anfang, Mittdreißiger so einiges verändert.

Heute beginnt man zu altern mit dem Sichtbarwerden der ersten Anzeichen des Alters, und das kann bereits mit 25 der Fall sein.

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Botox wird präventiv eingesetzt, noch bevor die oberen Hautschichten beginnen dauerhaft zu brechen, so das Credo vieler Hautärzte. Und damit ist Hyaluron- und Botox-Faltenunterspritzung ein lohnendes Geschäft für jeden, der einigermaßen geschickt mit einer Nadel umgehen kann. Selbst mein Zahnarzt widmet sich mehr als themenfremd nun auch diesem Markt. 

Nur selten findet sich ein Arzt, der einem ernsthaft abrät vor einer derartigen Behandlung. „Sie sehen wie ein aufgeschwemmter Karpfen aus, wenn ich das mache“ wäre eine Aussage, die sich so manch einer gewünscht hätte, bevor er mit schiefen Lippen, dauerhaften blauen Linien oder verhärteten Stellen unter der Haut die Praxis verlässt. Unerwünschte Nebenwirkungen – damit möchte man sich doch nur ungern beschäftigen, wenn man sich bereits so sehr auf eine Problemstelle eingeschossen hat, die endlich beseitigt werden muss.

Was wir dabei verlernen: Uns so zu akzeptieren, wie wir sind. In einer Welt, in der jeder an sich herumdoktern kann und Photoshop in der Realität anwendet, gewöhnt man sich an den Gedanken, selbst nachzubessern, wo sich – Gottgegeben – Handlungsbedarf findet. Doch wo führt das auf Dauer hin? 

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Besonders in der Modewelt ist die Idealisierung der Jugend nicht wegzudenken. Zwar gesellen sich in den letzten Jahren verstärkt sogenannte Senior Models auf den Laufsteg, doch leiten diese Models eine ganz neue Ära der Selbstoptimierung ein: Sie setzen Maßstäbe, wie Frauen mit 50 bis 70+ auszusehen haben: junggeblieben und wunderschön. Silber glänzendes Haar ist hier noch das, was am ehesten der Realität entspricht, denn ansonsten sind diese Models ebenso makellos, schlank und beinahe faltenfrei wie alle anderen Anwesenden.

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Senior Models kann man daher vor allem als eine weitere Form der Inszenierung und geschickten Marketings einordnen. Nachdem wir zunächst die ethnische Vielfalt zelebriert und Supersize Models im Sinne eines sich wandelnden Schönheitsideals gefeiert haben, so „darf“ nun auch die Generation 50+ auf den Laufsteg, die wohl gemerkt als Kundin den größten Marktanteil im Einzelhandel ausmacht.

Und wie auch bei vielen anderen Experimenten in der Modewelt, das gängige Schönheitsdiktat zu unterwandern, kommen wir doch immer wieder zurück zu dem, was seit Jahrzehnten den Runway prägt: Wahnsinnig dünn und makellos ist das, was die Masse als schön empfindet, und was zugleich am wenigsten von den Kreationen des Designers ablenkt. Es ist und bleibt ein Markt, der nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten agieren muss und den man als ein solches in sich funktionierendes System erkennen muss. Denn diesem Schönheitsideal nachzueifern, ist nicht nur physisch ungesund, sondern macht auch die Seele krank.

Und zum Glück gibt es sie, die Frauen in den sozialen Netzwerken, die zum Teil doppelt so alt sind wie viele ihrer Follower-Konkurentinnen und die ganz klar zu ihrem Alter stehen.

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Wer auf Instagram im deutschsprachigen Raum unterwegs ist, wird wahrscheinlich wissen, wen ich meine. Ich möchte an dieser Stelle keine der erwähnten Ladys einzeln outen und damit in eine Schublade zwängen. Mir persönlich gibt es sehr viel Kraft, zu sehen, dass Frauen unabhängig ihres Aussehens und ihres Alters in der Modewelt so viel Erfolg haben können. Und sie all ihre Erfahrung und Weisheit in Büchern niederschreiben, clever konzipierte Onlineshop-Strategien verfolgen und damit beweisen, dass es auch anders geht.

Kürzlich bin ich auf Instagram über die Kampagnenbilder eines ganz besonderen Vintage Stores gestolpert: park_wien. Der Star der meisten Aufnahmen ist eine ältere Dame, die jedes Kleidungsstück zu etwas ganz Besonderem macht. Unschlagbar individuell, wiedererkennbar und charmant, wie ich finde. Zum Onlinestore geht’s hier.

 

Damit leiten Kampagnen wie diese eine weitere, längst überfällige Welle der Emanzipation ein, wenn man so will, die hoffentlich dazu führt, dass zukünftig Sprüche wie „Frauen werden älter, Männer werden weiser“ ausnahmslos einer antiquierten Welt zugeschrieben werden.

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Mehr denn je brauchen wir starke Frauen als Role Models, die nicht mit ihrer schönen Hülle, sondern einem selbstbewussten Umgang mit Makeln dafür sorgen, dass ein Umdenken stattfindet.

Damit auch die heute zwanzig Jährigen begreifen, dass es sinnvoller ist, sein Geld in andere Dinge zu investieren als in eine lebenslange Botox-Behandlung.

„Silberglanz. Von der Kunst des Alterns“ ist eine Ausstellung im Landesmuseum Hannover, die sich einem der wohl gesellschaftlich bedeutendsten Themen widmet: Das des Älter-Werdens. Noch bis zum 18. Februar 2018 werden hier Kunstwerke vom alten Ägypten bis zur Gegenwart gezeigt, die sich mit der unterschiedlichen Wertvorstellung des Alters auseinandersetzen.

Link zur Ausstellung

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